FEMALE TROUBLE – WENN DAS GESCHLECHT AUFHORCHEN LÄSST

Das Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF) widmet seine Retrospektive FEMALE TROUBLE der Repräsentation weiblicher Archetypen im Genrekino. Das im Rahmen der 22. Ausgabe des Festivals (30. Juni – 8. Juli) gezeigte Sonderprogramm knüpft an die letztjährige Retrospektive SCREAM QUEER an: Ohne Anspruch auf Vollständigkeit verfolgt die reflexive Retrospektive sowohl einen chronologischen als auch einen geografischen Leitfaden mit dem Ziel, die Entwicklung eines vielfältigen und komplexen Themas greifbarer zu machen. Das Programm umfasst rund 20 Spielfilme und wird ergänzt durch eine öffentliche Gesprächsrunde mit Persönlichkeiten, die sich vertieft mit der Wahrnehmung und Entwicklung dieser Repräsentationen befassen.

ZWIESPÄLTIGE REPRÄSENTATIONEN

Der fantastische Film bietet grosse Freiräume, ist aber auch ein Nährboden für hartnäckige Klischees: Es hat in der Kunstform nie gemangelt an archaisch repräsentierten Frauenfiguren. Dargebrachte Opfer, gepeinigte Heldinnen – das Genre hat Widersprüchliches geleistet und Frauen oft dafür bestraft, dass sie aus ihren traditionellen Rollen – etwa der Ehefrau oder der braven Tochter – ausbrachen.

Dennoch sind es auf den zweiten Blick oft Emanzipationsgeschichten, die fantastische Filme erzählen. Ob Heldinnen des Female Gothic (REBECCA, Alfred Hitchcock, 1940), Faustkämpferinnen in Haft (FEMALE PRISONER #701: SCORPION, Shun’ya Itō, 1972), Nüxia und Ritterinnen aus der chinesischen Literaturtradition (LADY WITH A SWORD, Kao Pao-shu, 1971) oder Überlebenskünstlerinnen im Weltraum (ALIENS, James Cameron, 1986) – viele dieser Figuren haben eines gemeinsam: Sie laufen gesellschaftlich diktierten Normen zuwider und nehmen sich in den Lücken einer wohlgeordneten sozialen Struktur ihre Freiheiten heraus.

REBECCA
REBECCA
Alfred Hitchcock · US · 1940
LADY WITH A SWORD
LADY WITH A SWORD
Kao Pao-shu · HK · 1971
FEMALE PRISONER #701: SCORPION
FEMALE PRISONER #701: SCORPION
Shun’ya Itō · JP · 1972
ALIENS
ALIENS
James Cameron · US/UK · 1986

Verstörende Weiblichkeit gab es schon in den Anfängen des Kinos: So genannte «Nasty Women» zerstörten das Bild der Frau im häuslichen und öffentlichen Raum. Ein «Vorbild», das spätere Filmschaffende beeinflusste und manchmal sogar zum Herzstück ihrer Filme wurde, wie z. B. bei John Waters. In SERIAL MOM (1994) entwirft Waters eine besonders interessante Variation des Themas: Man könnte von einer «Nasty Mother» sprechen.

Im Lauf der Zeit nutzten vermehrt auch Regisseurinnen die Mittel des fantastischen Films, um Geschichten mit aktuellen Inhalten zu erzählen, wie Jennifer Kent in THE NIGHTINGALE (2018), einem eindringlichen Thriller, der die Erzähltradition des Rape & Revenge aufgreift und dabei Geschlechtsfragen, aber auch die Brutalität der Kolonialisierung zum Thema macht.

SERIAL MOM
SERIAL MOM
John Waters · US · 1994
THE NIGHTINGALE
THE NIGHTINGALE
Jennifer Kent · AU/CA· 2018

Teils zwiespältige Repräsentationen dieser Art vertieft FEMALE TROUBLE anhand einer Auswahl von Spielfilmen und im Rahmen einer öffentlichen Gesprächsrunde.

FEMALE TROUBLE ZU GAST IN DER NATIONALES FILMARCHIV

Sonntag, 4. Juni, 18:30 und 21:00

Als Vorgeschmack auf FEMALE TROUBLE organisiert das NIFFF erneut einen Spezialabend mit der nationales Filmarchiv. Gezeigt werden zwei Filme, die das Phänomen der «Femme Fatale» unterschiedlich auslegen: Klassisch, toxisch und manipulierend zum einen (DOUBLE INDEMNITY, Billy Wilder, 1944), danach modern, unruhestiftend und besessen (JENNIFER’S BODY, Karyn Kusama, 2009). Ein Ticket für die erste Vorführung gilt als Einladung für die zweite.

JENNIFER’S BODY
JENNIFER’S BODY
Karyn Kusama · US · 2009

FEMALE TROUBLE ZU GAST IN DER CASE À CHOCS

Samstag, 1. Juli, ab 00:00

Das NIFFF und die Case à Chocs freuen sich, gemeinsam eine thematisch an FEMALE TROUBLE angelehnte Afterparty zu veranstalten. Das Publikum wird in die entsprechende Stimmung gebracht durch die Musik von drei Künstlerinnen, die mit ihrer Herangehensweise und ihrer Haltung den Geist der Retrospektive treffend verkörpern. Getanzt wird zu den mitreissenden Klängen der queeren Performerin, DJane und Produzentin Authentically Plastic, die sich weitgehend von den elektronischen Rhythmen Nordugandas inspirieren lässt, oder zum Afro-Electro der ivorischen DJane Asna, die sich mittlerweile als Ikone der westafrikanischen Elektronikszene etabliert hat. Die DJane Miss Sheitana wird überdies ein berauschendes Set beisteuern, das sich zwischen Clubmusik, Rap und Baile Funk bewegt.

ASNA
ASNA
© Quentin Mka · Sénégal · Dakar

COUNTDOWN NIFFF 2023

Donnerstag, 15. Juni: Vollständiges Programm und Ticketverkauf auf NIFFF.CH
30. Juni – 8. Juli: 22. Ausgabe des NIFFF